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ARCHIV 2006 - Februar 2014
Israel 2012 - Demokratie unter Druck
diAK-Jahrestagung 2012

Israel bezeichnet sich gerne als "einzige Demokratie des Nahen Ostens" und verweist auf ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen mit freien Wahlen, Gewaltenteilung und einer pluralistischen Zivilgesellschaft. Dieses Selbstbild wird schon lange aufgrund der seit 1967 anhaltenden Besatzung der Westbank und des Gazastreifens sowie der Annexion Ost-Jerusalems und der Golanhöhen in Frage gestellt. Auch innenpolitische Demokratiedefizite, z.B. die Diskriminierung der nicht-jüdischen Minderheiten in Israel, werden immer wieder kritisiert. Nach dem deutlichen Rechtsruck bei den letzten Knessetwahlen hat das Bild der stabilen israelischen Demokratie weitere Risse bekommen. In Israel selbst wird über die Entwicklung der Demokratie kontrovers debattiert. In der Knesset wurden Gesetzesvorhaben eingereicht und teilweise verabschiedet, die z.B. die Unabhängigkeit des Obersten Gerichtshofes angreifen, die Rechte der palästinensischen Israelis bedrohen und Menschenrechtsorganisationen in ihrer Arbeit einschränken. Mehr noch: Die israelische Regierung verzögert die Umsetzung von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und untergräbt damit das Rechtsstaatlichkeitsprinzip. Mit ihrem sozialen Protest brachten Hunderttausende von Israelis 2011 wochenlang auf den Straßen zum Ausdruck, dass sie sich von den Parteien in der Knesset nicht mehr ausreichend repräsentiert fühlen. Zahlreiche Friedens- und Menschenrechtsorganisationen beklagen antidemokratische Tendenzen und in vielen Medien wird zunehmend polemisch über den zukünftigen Charakter des Staates diskutiert. Ist die israelische Demokratie gefährdet? Wie steht es um liberale, zivilgesellschaftliche Kräfte in Israel? Neben diesen aktuellen Entwicklungen wollen wir auch diskutieren, ob diese antidemokratischen Entwicklungen aus aktuellen, d.h. vorübergehenden politischen Konstellationen resultieren, ob sie auf in der Vergangenheit angelegte Defekte zurückzuführen sind oder ob und wie sie mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt in Zusammenhang stehen. Dazu haben wir uns Expert/inn/en und Aktivist/inn/en aus verschiedenen politischen Lagern Israels eingeladen. ProgrammFreitag, 26. Oktober 2012 Bis 18:00          Anreise 18:30               Abendessen                                                                                      19:30               Begrüßung   19:45 – 21:30  Zionistisches Erbe und gegenwärtige Machtstrukturen Demokratie unter Druck? Die Keynote wird analysieren, wie das Vorhaben eines demokratischen jüdischen Staates im Nahen Osten historisch umgesetzt wurde und wie sich diese demokratischen Strukturen von 1948 bis heute entwickelten. Wann wurde zum ersten Mal die demokratische Verfasstheit Israels in Zweifel gezogen oder gar herausgefordert?  Mit welcher Bedeutung sind Grundbegriffe wie Sozialismus, Nationalismus und Zionismus aufgeladen? Wie kam es zur aschkenasischen Elitenbildung? Ist die politische Nostalgie gegenüber alten politischen Strukturen gerechtfertigt? Sind die heutigen Machtstrukturen durch ein oligarchisches System der Vorteilsnahme gekennzeichnet? Gadi Algazi, Professor der Geschichte; Sozialer Aktivist, Tel Aviv Kommentar: Yoaz Hendel, Journalist; Leiter des Institute of Zionist Strategy, Jerusalem (angefragt)

Samstag, 27. Oktober 2012  

8:30                 Frühstück    9:00 – 12:30      Positionen und Streitgespräch  Zur demokratischen Verfasstheit Israels Der Facettenreichtum der Positionen zur demokratischen Verfasstheit geht weit über eine simple Einschätzung fehlender oder intakter Demokratie hinaus. Auf diesem Panel werden Vertreter_innen der politischen Mitte sowie kritische und offen-religiöse Stimmen ihre Ansichten vertreten. Wir werden gegensätzliche Meinungen zum Thema Demokratie in Israel hören, die uns eine differenzierte Auseinandersetzung, jenseits von schwarz-weiß Vorstellungen, ermöglichen.   Anat Hofman, Vorsitzende, Israel Religious Action Center (IRAC), Jerusalem Davidi Harmelin, Vorsitzender des Young Likud, Jerusalem Dahlia Scheindlin, Analystin und Gesellschaftsforscherin, Tel Aviv Sawsan Zaher, Direktor der Social and Economic Rights Unit, Adalah, Haifa 15:00 – 18:00Sozialer Wandel – Social Change! Schon vor den Zeltprotesten auf dem Rothschild Boulevard in Tel Aviv 2011 haben benachteiligte Gruppen außerhalb des Parteiensystems für ein gerechteres Israel protestiert. Die Konsensformel des letzten Sommers – Social Change – trug auch die Unterstützer von Vicki Knafo, einer alleinerziehenden Mutter aus dem Negev,  die aus Protest gegen ihre Armut im Sommer 2003 publikumswirksam zu Fuß aus der Wüste bis nach Jerusalem lief. Die Black Panther der frühen 70er Jahre kämpften ohne Parteien mit Straßenprotesten für Rechte und Arbeit für Misrachi Israelis. Die Zivilgesellschaft  spiegelt einerseits die Vielfalt der israelischen Gesellschaft und ihrer Minderheiten wider, andererseits ist die arabische Minderheit ebenso weitgehend abwesend wie das Thema  der Besatzung. Warum fühlen sich die Protestler von der vielfältigen Parteienlandschaft nicht repräsentiert? Was sind die Erfolge und Misserfolge der Proteste? Wer sind ihre Verbündeten? Welche Aussichten bestehen, dass auch Probleme wie die Besatzung oder der Rassismus in Israel thematisiert werden? Wieviel Social Change ist möglich im Jahr 2012 und danach?    Michal Eden, Stadträtin, Tel Aviv Rania Laham-Grayeb, stellvertretende Direktorin, Mosawa Center, Haifa Michal Rozin, Vorsitzende des Meretz Management Board, Tel Aviv Stav Shaffir, führende Aktivistin, Social Protest Movement, Tel Aviv 18:30                Abendessen 20:00                Filmvorführung Avoda Aravit (Arab Labour), Drei Episoden der 2. Staffel Arabisch/Hebräisch mit englischen Untertiteln  Sonntag, 29. Oktober

 

8:30                 Frühstück

 

9:30 – 10:30      Der Oberste Gerichtshof im Spagat zwischen Regierung und Recht Der Oberste Gerichtshof genießt in Israel hohes Ansehen und hat sich seit der Präsidentschaft von Aharon Barak zu einem aktiven Akteur entwickelt. In zahlreichen Entscheidungen hat das Gericht Grundrechte gestärkt. Seine Zuständigkeit erstreckt sich allerdings auch auf die besetzten Gebiete. Dies nutzen zivilgesellschaftliche Organisationen, um Verstöße gegen israelisches Recht wie den Bau illegaler Siedlungen vor den OGH zu bringen. In einigen Fällen hat das Gericht daraufhin eine Räumung von Siedlungen angeordnet. Diese Entscheidungen werden von der Regierung aber nur zögerlich, wenn überhaupt umgesetzt. Wird damit das Rechtsstaatlichkeitsprinzip in Israel unterminiert? Zudem hat der OGH in vielen Entscheidungen, das geltende Besatzungsregime gestützt und damit auch Verstöße gegen das Völkerrecht. Wie ist die Rolle des OGH im Besatzungskontext einzuschätzen? Yifat Solel, Anwältin für Zivil- und Sozialrecht, Tel Aviv 10:30 – 11:00    Kaffeepause 11:00 – 13:00    Abschlussdiskussion Demokratische Besatzungsmacht? Israels Demokratie im Kontext des Nahost-Konflikts Es wird immer wieder hervorgehoben, dass Israels Demokratie durch die Politik der Besatzung und Besiedlung gefährdet sei. Bereits der religiöse Denker Yeshajahu Leibowitz hatte erkannt: Wenn Israel besetzte Gebiete behält, in denen die Strukturen und Regeln der Demokratie außer Kraft gesetzt sind, kann auch die Demokratie im Kernland nicht überleben. Steht Israel am Beginn des Zerfalls der demokratischen Grundordnung, die mit der Besatzung der Palästinensergebiete begann? Inwieweit beschädigt die Besatzung, die nun schon über 40 Jahre besteht, die demokratische Ordnung Israels? Wie wirken sich die gegenwärtigen Demokratie-Defizite in der politischen Praxis auf den Nahost-Konflikt aus, wie bspw. das Nakba-Gesetz und das Anti-Boykott-Gesetz? Yoaz Hendel, Leiter des Institute of Zionist Strategy, Jerusalem (angefragt) Dahlia Scheindlin, Analystin und Gesellschaftsforscherin, Tel Aviv Yifat Solel, Anwältin für Zivil- und Sozialrecht, Tel Aviv Sawsan Zaher, Direktorin der Social and Economic Rights Unit, Adalah, Haifa 13:00    Ende der Konferenz, Abreise nach dem Mittagessen

Datum:

Freitag, 26. Oktober – Sonntag, 28. Oktober 2012 Ort: Evangelische Akademie Arnoldshain Martin-Niemöller-Haus Am Eichwaldsfeld 3 61389 Schmitten / Taunus Konferenzsprachen: Englisch und Deutsch mit Simultanübersetzung Tagungskosten Freitag bis Sonntag: Unterkunft im Einzelzimmer und Verpflegung 140,- Euro Unterkunft im Doppelzimer und Verpflegung 116,- Euro zuzüglich Kursgebühr 30,- Euro. Teilnahme ohne Übernachtung, jedoch mit Verpflegung inklusive Kursgebühr 96,- Euro. Anmeldung: Schriftliche Anmeldung erforderlich (Tagungsnummer 123131) bei Karin Weintz, Te.: 06084  9598-125 email: weintz@evangelische-akademie.de oder online unter: http://www.evangelische-akademie.de/tagungen.htmlVeranstalter: Evangelische Akademie in Hessen und Nassau in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem deutsch-israelischen Arbeitskreis

 

Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung