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ARCHIV 2006 - Februar 2014
Öffnung der Wissenschaft? Stand und Perspektiven der Hochschulreform
Tagung

Wird die Universität in der sich globalisierenden „Wissensgesellschaft“ zum Traum oder zum Alptraum? Die Diskussion über die Zukunft der Universität bewegt sich – gleichsam schwankend und unentschieden – zwischen den Polen der Erwartung einer Demokratisierung wissenschaftlichen Wissens und der Feststellung seiner neuartigen „unternehmerischen Disziplinierung“: Öffnung der Wissenschaft gegenüber Gesellschaft und Wirtschaft oder „Wissenschaftsvernichtung“ (Koschorke)? Die „Imperative des Wissenschafts-Marketings“ (Holland-Cunz) setzen neue Maßstäbe für wissenschaftlichen Erfolg, neue Akteure treten auf den Plan; es transformieren sich die universitären Kompetenzstrukturen und es entstehen neue Anerkennungsverhältnisse an den Hochschulen. Im Zuge der großen wissenspolitischen Reformprojekte – Hochschulstrukturreformen und Bologna Prozess – verändern sich die deutsche Hochschullandschaft und die angebotenen Studiengänge seit den 1990er Jahren grundlegend. Unter dem Schlagwort der Internationalisierung von Studium und Lehre werden europaweit einheitliche Abschlüsse (BA/MA), Strukturen (Modularisierung) und Noten (ETCP) eingeführt. Diese Reformen, die Diskussion um Studiengebühren und insbesondere die Exzellenzinitiative der Bundesregierung werden vielfach als Abschied vom Humboldt’schen Bildungsideal einer universellen Bildung durch die Entfaltung aller Kräfte der Persönlichkeit gedeutet. Dabei wird nicht nur kritisch gesehen, dass sich die Inhalte der Bildung verändern und zunehmend die (berufliche) Verwertbarkeit von Wissen als Kriterium bei der Entwicklung des Lehr- und Studienangebotes herangezogen wird, sondern über Numerus Clausus und Studiengebühren auch die Zahl derer, die überhaupt Zugang zur Universität haben, deutlich reduziert wird – wenngleich seitens der Politik eine Erhöhung der AbsolventInnen als explizites Ziel formuliert wird. Viele KritikerInnen begreifen die Reformprozesse auch als Schritte zu einer stärkeren Verbetriebswirtschaftlichung der Universitäten, bei der die Angebotsorientierung der Universität um eine stärkere Nachfrageorientierung ergänzt wird. Aus Studierenden werden KundInnen; der Lehr-, Lern- und Prüfungserfolg wird immer aufwändiger evaluiert und entscheidet ebenso wie die erfolgreiche Akquise von Drittmitteln über wissenschaftliche Kompetenz und den Erfolg im Hochschulranking und innerhalb der Universität. Gleichzeitig stehen jene Universitäten, Fachbereiche und Lehrenden, die nicht zur „Elite“ gehören bzw. keinen Platz unter den TOP 10 erhalten haben, im Zuge weithin knapper Kassen und einer generellen Unterfinanzierung der Bildung in Deutschland zunehmend unter Druck: Braucht Bayern mehr als ein Institut für Politikwissenschaft? Braucht Hessen zwei mittelhessische Universitäten? Leistet sich das Land Berlin zu viele Universitäten? Diese Fragen werden im politischen Diskurs aufgebracht und fördern die Konkurrenzsituation zwischen wissenschaftlichen Institutionen. Die Auswirkungen dieser tiefgreifenden Veränderungen auf Wissenschaft, Wissenschaftskultur und Hochschulen in Deutschland sind in ihrem ganzen Umfang noch nicht abzusehen. So ist zwar auf der einen Seite zu beobachten, dass sich Lehr- und Lernformen verändern, um der vielfach geforderten „Zukunftsoffenheit“ der Universität gerecht zu werden. Insbesondere die Diskussion um den rasanten Verfall von Wissen und Wissensbeständen – „Was heute erfolgreich ist, kann morgen schon überholt sein“ (Kimmich/Thurmfart 2004) – oder der mit dem Begriff „Modus 2“ umschriebene Anspruch einer veränderten wissenschaftlichen Wissensproduktion, in einem projektbezogenen, zeitlich und thematisch eingegrenzten, institutionell und professionell heterogenen Verbund von Forschungspersonen sowie -organisationen (vgl. Gibbons u.a. 1994) bleiben insbesondere für die immer stärker auf Drittmittel angewiesenen Fach- und Themengebiete nicht ohne Folgen. Auf der anderen Seite behält aber auch „Modus 1“, also die Produktion von Wissen durch ausgewiesene, akademische ExpertInnen innerhalb disziplinärer Grenzen und seine Beurteilung nach wissenschaftlichen Gütekriterien, im universitären Alltag seine Berechtigung und ist auch weiterhin ein zentraler Aspekt für die Profilierung von Lehrstühlen oder Hochschulen. Mit der Tagung will der Arbeitskreis „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen e.V. die Zukunft der Universität in der „Wissensgesellschaft“ aus der Perspektive der Zukunft der Politikwissenschaft, der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung und der feministischen Theorieentwicklung reflektieren – unter besonderer Berücksichtung der Auswirkungen auf Berufsverläufe in der Politikwissenschaft und auch der Gestaltungsmöglichkeiten universitärer Gleichstellungspolitik.    In drei thematischen Blöcken sollen die beobachtbaren hochschulpolitischen Entwicklungen diskutiert werden, für die folgende Fragen und Themenbereiche vorformuliert wurden: I. Mehr Geschlechtergerechtigkeit im Zuge der Hochschulreform? In diesem Diskussionsblock sollen folgende Fragen diskutiert werden: Wie wirken sich die Reformen auf die Frauen- und Gleichstellungspolitik – sowohl hinsichtlich der Personalentwicklung als auch bezogen auf die Inhalte – an Hochschulen aus? Welchen Stellenwert hat Gender Mainstreaming bei der Akkreditierung von Studiengängen? Wie verändern sich die Entscheidungsstrukturen im Reformprozess? Erste Untersuchungen zu den eingeführten BA/MA-Studiengängen kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen zu einem geringeren Anteil in den MA-Studiengängen vertreten sind. Wie ist dieses Ergebnis vor dem Hintergrund dessen, dass die Zahl weiblicher Studienanfängerinnen mittlerweile sogar leicht über der der Männer liegt, zu erklären? Finden gezielte Auswahlprozesse statt, in denen Ungleichheit qua Geschlecht wieder eine Rolle spielen? Besteht eine Verschränkung von sozialer Ungleichheit und Geschlechterungleichheit? Sind Frauen von den universitären Strukturen abgeschreckt? Wie sieht die Bilanz nach 4 Jahren Juniorprofessur aus? Hat sie tatsächlich die Karriereverläufe von jungen WissenschaftlerInnen verbessert? Welche Auswirkungen haben die Reformen auf Karriereplanung und Karriereverläufe, insbesondere vor dem Hintergrund der zu beobachtenden Reduzierung und auch Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen in der Wissenschaft? II. Hochschulreform und soziale Gerechtigkeit – bessere Perspektiven für Studierende und NachwuchswissenschaftlerInnen? In der breiten Debatte um „Wissensgesellschaft“ und Hochschulreformen werden Fragen sozialer Gerechtigkeit bislang kaum gestellt und diskutiert. Dabei sind Hochschulen (Aus)Bildungseinrichtungen mit einer stratifizierenden Funktion: Hochschulabschlüsse sind in breiten Bereichen der Erwerbsarbeit die Grundvoraussetzung für eine Chance auf einen Arbeitsplatz. Aber Hochschulen stellen auch an sich eine Gütersphäre dar, d.h. sie verteilen Studienplätze (zusammen mit der Last der Finanzierung) und Arbeitsstellen. Während früher Universitäten Eliteeinrichtungen waren in dem Sinn, dass nur ein Bruchteil eines Altersjahrgangs an ihnen studieren und arbeiten konnte, so sind sie durch die Bildungsexpansion zu Masseneinrichtungen geworden. Damit veränderte sich die gesellschaftliche Stellung der Hochschulen: Sie wurden zu einer zentralen Verteilungsinstanz für weitere Lebenschancen. Die hochschulpolitischen Reformen seit den 1990er Jahren zielen nun auf eine erneute Veränderung der gesellschaftlichen Stellung der Hochschulen (durch geringere staatliche Finanzierung, stärkere wirtschaftliche Ausrichtung, stärkere außeruniversitäre Kontrolle) sowie auf Veränderungen in der Distribution von Gütern und Lasten (in) der Hochschule (z.B. Hochschulzugang). Diese Reformmaßnahmen treffen Menschen mit verschiedenen Hintergründen und in verschiedenen Situationen unterschiedlich. Welche Auswirkungen haben z. B. Studiengebühren auf das Studier- und Promovierverhalten? Inwieweit findet eine Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses statt? Haben sich die Bedingungen für die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Tätigkeit an der Universität und Familie verbessert? Können wissenschaftliche Vereinigungen wie die DVPW Einfluss nehmen auf die Hochschuldebatten? Welche Perspektiven und Fördermaßnahmen entwickelt das Bundesministerium für Bildung und Forschung? III. Perspektiven für Politik und Wissenschaft Was bedeutet die Exzellenzinitiative für Lehr- und Lerninhalte der Politikwissenschaft/Sozialwissenschaften? Welche Auswirkungen hat die Modularisierung von Studiengängen auf die Politikwissenschaft/Sozialwissenschaften? Findet, wie häufig angemahnt, eine Kanonisierung des Wissens statt, durch die die Freiheit der Lehre, thematische Schwerpunktsetzungen und die Profilierungsmöglichkeiten einzelner Institute bzw. Lehrstühle eingeschränkt werden? Was geschieht mit den an einigen Universitäten und Lehrstühlen erst ansatzweise eingeführten geschlechterkritischen Perspektiven (z.B. „Politikwissenschaft und Geschlecht“ oder „Schwerpunkt Gender“)? Ein weiterer Punkt betrifft die politische Bildung. Welchen Stellenwert hat dieser Bereich im Jahr 2007? Politischer Bildung kommt in einer demokratischen Gesellschaft die Aufgabe zu, Urteils- und Handlungsfähigkeit mündiger BürgerInnen zu stiften. Welche Bedeutung wird ihr heute in der neuen Wissenspolitik und für die neuen WissensarbeiterInnen beigemessen? Wie ist es um die Zukunft der Frauenbildung bestellt? Greifen feministische Initiativen zu dem Mittel „Frauenbildung als Elitenförderung“, z.B. durch die Gründung einer Frauenuniversität? ProgrammFreitag, 9. November 2007 18.00 Begrüßung Renate Niekant (Gießen), Dr. Alexandra Scheele (Potsdam), Marion Oberschelp (Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Universität Gießen) 18:30 Geschlechterpolitik am Ende? Zur Relevanz der Geschlechterperspektive in den aktuellen Steuerungsprozessen der Hochschulreform Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel (Dortmund) Vortrag und Diskussion Moderation: Stefanie Janczyk (Marburg)  Samstag, 10. November 2007 9:30 Einführung Renate Niekant (Gießen), Dr. Alexandra Scheele (Potsdam) I. Mehr Geschlechtergerechtigkeit im Zuge der Hochschulreform? 10:00 Wissenschaftskarrieren an Universitäten im Wandel – Zwischenbilanz zum Hochschulreformprozess Dr. Heike Kahlert (Rostock) 11:00 Kaffeepause 11:30 Gender-Aspekte bei der Einführung und Akkreditierung gestufter Studiengänge Dr. Beate Kortendiek (Dortmund) Studiengebühren, Arbeitsmarkt und Studienfachwahl Dr. Michaela Kuhnhenne (Oldenburg) Moderation: Dr. Diana Auth (Gießen) 13:00 Mittagspause und Nachwuchscafé II. Hochschulreform und soziale Gerechtigkeit – bessere Perspektiven für Studierende und NachwuchswissenschaftlerInnen? 14:30 Die Bedeutung der Hochschulpolitik für soziale Gerechtigkeit Dr. Antonia Kupfer (Linz) 15:00 Reformen für mehr Gerechtigkeit? Kritische Einwände aus feministischer Sicht Stefanie Geyer (Berlin), Julia Graf (Marburg) 15:30 Kaffeepause und Fortsetzung Nachwuchscafé 16:00 Hochschulreform und soziale Gerechtigkeit Diskussionsrunde mit Dr. Antonia Kupfer, Stefanie Geyer, Julia Graf und studentischen Vertreterinnen des AStA Hochschulpolitikreferats der Uni Gießen und einer Studierendengruppe der Universität Marbrug Moderation: Renate Niekant (Gießen) 17:30 Zwischen Standesorganisation und politischem Akteur: Nachwuchsföderung in der DVPW Delia Schindler (Hamburg) 18:30 Abendessen Sonntag, 11. November 2007III. Perspektiven für Politik und Wissenschaft 9:30 "Discover Gender" - Paradoxe Perspektiven der feministischen Politik-Wissenschaft Prof. Dr. Ingrid Kurz-Scherf (Marburg) Die Universität als Labor neuen Wissens in der „Weltgesellschaft“ Prof. Dr. Ayla Neusel (Kassel) Moderation: Dr. Alexandra Scheele 10:30 Kaffeepause 11:00 Die Zukunft von feministischer Wissenschaft an der reformierten Hochschule Abschlusspodium mit Prof. Dr. Barbara Holland-Cunz (Gießen), Prof. Dr. Sabine Hark (Berlin), Prof. Dr. Ayla Neusel (Kassel), Prof. Dr. Ingrid Kurz-Scherf (Marburg) Moderation: Prof. Dr. Uta Ruppert (Frankfurt) 13:30 Ende der Tagung Die Tagung richtet sich an Studierende und Lehrende an Deutschen Hochschulen, WissenschaftlerInnen außeruniversitärer Forschungseinrichtungen sowie Gleichstellungsbeauftragte in wissenschaftlichen Institutionen, darüber hinaus an VertreterInnen von bildungspolitischen Verbänden und Vereinigungen, an bildungspolitische SprecherInnen der Parteien und an VertreterInnen seitens der Bildungs- und Forschungsministerien. Termin: Freitag, 9. November bis Sonntag, 11. November 2007 Veranstaltungsort:Alexander-von-Humboldt-Haus (Gästehaus) der Universität GießenRathenaustr. 24a, GießenKosten: Die Teilnahme an der Tagung selbst ist kostenfrei. Es wird aber ein Unkostenbeitrag von Euro 10,00 für Tagungsgetränke und kleine Snacks erhoben, der vor Ort bar entrichtet wird. Ein kostenlose Shuttleservice zum Alexander-von-Humboldt-Haus wird eingerichtet. Kosten für An- und Abreise sowie Unterkunft sind von den Teilnehmenden selbst zu tragen. Hinweise zu Unterkünften in Gießen:finden Sie rechtzeitig auf der Website des AK Politik und Geschlecht hier.Anmeldung bitte bis zum 04. November an: Heinrich-Böll-Stiftung Hessen e.V. email: krannich@hbs-hessen.de FAX: 069/ 23 94 78 Veranstalter: Arbeitskreises „Politik und Geschlecht“ in der DVPW in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen e.V. und der Frauenbeauftragten der Justus-Liebig-Universität Gießen

 

Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung